Begabungsförderung für Abiturienten


Akademie von Leistung und Wettbewerb – Ein Bericht

Arvid Büntzel

Der kundige, netzaffine Humboldtianer hat bestimmt spitzbekommen, dass jährlich Berichte von enthusiastischen Schülern über sog. „Nerdcamps“ (aus dem engl.: Ferienlager für übermäßig intellektuelle, obsessive oder sozial isolierte Menschen)[1], die sich als Oasen der geistigen Freiheit, der Freude und des Zusammenlebens entpuppen, auf dieser Homepage erscheinen.

Mir war es möglich, an einem solchen Ferienlager, der Deutschen Schülerakademie in Waldenburg (nähere geographische Bestimmung unmöglich, da im kargen, sächsisch-provenziellen Dreieck „Altenburg-Zwickau-Chemnitz“ gelegen), teilzunehmen. So konnte ich diese Berichte ob ihrer Richtigkeit untersuchen.

Sie sind falsch! Laut Prof. Dr. rer. soc. habil. Hartmut Rosa, dem Akademieleitenden, handelt es sich bei der DSA um „eine seriöse Bildungseinrichtung“ in der das uneingeschränkte Prinzip von „Leistung und Wettbewerb“ herrsche.

Jeder Teilnehmende besuchte einen wissenschaftlichen Kurs (Mathematik, Physik, Informatik, Philosophie, Musiksoziologie/-philosophie/-hermeneutik) oder beschäftigte sich mit Geographie.

Als musikwissenschaftlicher Kurs waren wir natürlich besonders an der methodenübergreifenden Arbeit interessiert und platzierten deshalb im Rahmen unserer auditiven Feldstudien sog. Bluetooth-Lautsprecher im Seminarraum der Geographen. Als Ergebnis ließ sich feststellen, dass auf unerwartete Rezeption von Neuer Musik der Fluchtreflex greift. Manchmal ist Schönberg halt doch nur Berg.

Da wir versuchten, Möglichkeiten des Schreibens über Musik zu finden, schrieben wir fiktive Rezensionen für großlettrige, deutsche Tageszeitungen oder erstellten CD-Booklets Helge Schneiders musikalischen Meisterwerken für alle acht Hörtypen der Musikhörertypologie nach Adorno.

Außerhalb der Kurszeiten wurde das Prinzip von Leistung und Wettbewerb mit Wasserbomben, Schüsseln, Eimern und Wasserpistolen erprobt. Im Sportturnier ging unser Musikkurs leider mit Pauken und Trompeten unter; immerhin hatten wir aber Fanfare und Blaskapelle.

In den KüAs (Kursübergreifende Angebote) wurde mir die kompetitive Komponente der Akademie allerdings nicht deutlich. Teilnehmenden war es möglich verschiedenste Aktivitäten (Chor, Orchester, Schach, Quidditch, Fußball, Taizé, Tanzen, Rakete bauen, Sprachen oder Dirigieren lernen…) anzubieten oder an ihnen teilzunehmen. So durfte ich temporär als Chorleiter in Aktion treten und im Rahmen unserer Raketenbau-KüA wurde der (liebevoll so getaufte) Chemiekerker in einer Art und Weise in Beschlag genommen, dass es manchem Chemielehrer selbst die letzten Haare noch rauben würde.

Diese Inkonsequenz in der Umsetzung des strengen Leistungsprinzips hinterlässt mich ratlos. Es ist mir nicht möglich zu verschweigen, dass ich große Freude, enormen Spaß und unglaubliche Menschen während meiner Akademiezeit um mich hatte, zugleich aber noch unfassbar viel über wissenschaftliches Arbeiten gelernt habe.

Die Aussagen des Akademieleitenden bedürfen also einer neuen hermeneutischen Untersuchung. Vielleicht bieten meine diesjährigen Kursleiter (Musikwissenschaftler und Germanist) im nächsten Jahr einen Kurs „Hermeneutik des Understatements“ an.



[1] vgl. Dudenredaktion: „Nerd“, unter: https://www.duden.de/suchen/dudenonline/nerd (abgerufen am 15.08.2018)

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